Erwärmt sich die Erde noch schneller als vorhergesagt?

Das 2023 das heißeste Jahr seit Messbeginn war, steht inzwischen fest1. Weitgehend unbemerkt von der normalen Presse findet dazu unter Klimawissenschaftlern eine Diskussion statt, ob diese Temperaturen so zu erwarten waren oder ob die Erderhitzung bereits begonnen hat, sich zu beschleunigen.

Das Rekordjahr 2023

Bereits seit Monaten ist klar, dass 2023 ein Rekordjahr werden wird – bei den Temperaturen (an der Oberfläche, in der Troposphäre und im Ozean), beim antarktischen Meereis, bei der Zahl der großen Klimakatastrophen usw. Aber das war zu Beginn des Jahres überhaupt nicht klar – auch wenn man davon ausging, dass sich das Wetterphänomen El Niño in diesem Winter entwickeln würde und damit höhere Temperaturen zu erwarten waren. Die Intensität der Erhitzung hat aber auch viele Klima-Wissenschaftler überrascht. Der renommierte Klimawissenschaftler Zeke Hausfather von Berkeley Earth bezeichnete die Temperatur von September 2023 bereits als “absolutely gobsmackingly bananas” – zu deutsch absolut verblüffend verrückt.

Warum? Die Debatte dazu in der Wissenschaft.

Seit dem findet in der Klimawissenschaft ein Diskussion statt, was die Gründe für die deutliche Erhitzung in 2023 gewesen sind. Es gibt viele Kandidaten: der anhaltende El Niño, der Rückgang der Aerosole durch den Schiffsverkehr, der Hunga-Tonga-Ausbruch, die interne Variabilität des Meereises im südlichen Ozean, der extreme Dipol im Indischen Ozean, die Abschwächung des Golfstroms, die geringen Staubkonzentrationen in der Sahara und vielleicht alles zusammen. Laut Hausfather2 und auch der NASA3 zeigt sich in den Daten bereits eine statistisch signifikante Beschleunigung der Erderwärmung.

Im November entwickelte sich nochmal zusätzlicher Schwung in der Debatte, als der bekannte Klimaforscher James Hansen gemeinsam mit weiteren Forschern mehrere Publikationen veröffentlichte4. Demnach wurde u.a. das Energieungleichgewicht bislang noch verdeckt durch Aerosole und eine besonders lange kühlende El Niñja-Phase und würde in den Klimamodellen der IPCC-Berichte unterschätzt. Das Fazit aus diesen Studien ist, dass sich die globale Erwärmung nach 2010 in einer beschleunigten Erwärmungsphase befinden muss und prognostizieren, dass die globale Temperatur sich bereits jetzt über 1,5°C hinaus erwärmt und in den 2030er Jahren 2°C erreichen könnte5.

Andere bekannte Klimaforscher wie Manfred E. Mann halten hier dagegen: “Die Erwärmung selbst [1,2°C über dem vorindustriellen Niveau] entspricht genau den Vorhersagen früher Klimamodelle. Aber viele der Auswirkungen übertreffen die Modellvorhersagen.6. Und auch Gawin Schmidt von der NASA bemerkt dazu: “Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, und deshalb halte ich mich mit einem Urteil darüber zurück, inwieweit es sich hier um einen Ausrutscher oder eine systematische Verschiebung handelt, bis wir einige dieser Faktoren genauer quantifiziert haben.7

Die kommenden Jahre werden also spannend: ist es nur schlimm genug oder kommt es noch schlimmer.

Vergleich der Vorhersage der Klimamodellen vs. beobachteter  Temperatur.
Vergleich der Vorhersage der Klimamodellen (schwarz + hellblauer Fehlerbereich) vs. beobachteter Temperatur (rot).
  1. Meldung Deutscher Wetter Dienst, 29.12.2023 ↩︎
  2. Zeke Hausfather, Meinungsartikel in der New York Times, Okt 2023 ↩︎
  3. Blog von Tamino, 2020 ↩︎
  4. Hansen et al. 2023, “Global warming in the pipeline” ↩︎
  5. Global Warming Acceleration: Causes and Consequences von James Jansen 2024 ↩︎
  6. Interview mit Manfred Mann in Le Monde, Juli 2023 ↩︎
  7. Gawin Schmidt in RealClimate 2024 ↩︎